Ein Mann im Hotelzimmer – fiebrig; er schaut zur Zimmerdecke und lauscht den Geräuschen einer Frau, während sie sich  auskleidet: Du bist unablässig in Bewegung. Dann erkenne ich die bekannten Geräusche des Öffnens der Haare und des Bürstens. Dann Wasserschwälle in das Waschbecken. Vorher schon das Abstreifen von  Kleidern; jetzt wieder; es ist mir unverständlich, wie viel Kleider du auszieht. Ich bin in meiner Vorstellung längst mit allen Vorstellbaren zu Ende, während du offenbar in der Wirklichkeit immer noch  etwas Neues zu tun findest.

Inspirationsquelle zu diesem Tanzstück ist Robert Musil Kurzprosa Hellhörigkeit, in welcher ausschliesslich das Ohr die  Phantasie des Ich-Erzähler führt und verführt. Ein sensibles Porträt, ohne Namen, aber voll sinnlicher Stille, welches auffordert, scheinbar bekannten Geräuschen wieder Raum und Symbolkraft zu geben. Es  stellt unsere Wahrnehmungsfähigkeit in Frage: Warum sehen wir so viel und hören so wenig? Ist uns vor lauter Lärm das Hören vergangen? Das Gleichgewicht unserer Weltwahrnehmung – ist es aus den Fugen geraten?

Robert Musil (1880-1942) löst hier das Detail aus der Totalität der Erscheinungen. Die Wirklichkeit der beschriebene Szene  wird nur aus Geräuschen zusammengesetzt, und gerade in dieser Verengung und Beschränkung der Wahrnehmung erscheinen die Bewegungsabläufe vollkommen anders. Vollzieht man den Text Musils nach, scheint die  Wirklichkeit neu und ungewohnt verändert zusammengesetzt.

Das Tanzstück Hellhörig beschäftigt sich nicht nur mit akustischer Wahrnehmung, sondern auch mit der Wahrnehmung von Bewegung  und Tanz, die jeder zu kennen glaubt, die aber durch einen ungewöhnlichen Blickwinkel zu ganz neuen Erfahrungen führen kann.

 

 

Tanzthetaer & Libretto:
Mario Heinemann
Sophie Jaillet
Choreographie / Regie:
Mario Heinemann
Ausstattung:
Marcel Zaba
Video:
Sophie Jaillet
Musik: Tuxedomoon, Balanescu Quartett, Steve Reich, Pascal Comelade, Arvo Pärth, Peter Warlock, FM Einheit, Sergej Prokofiev,  Michael Rodach, Musikcollage...

Dauer: ca. 2 Stunden